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Scoring-Modell: Unser Koordinatensystem für den “Wert” eines Unternehmens

Da wir in zahlreichen Artikeln von einem ominösen “Scoring-Modell” gesprochen haben, wollen wir hier vorstellen wie wir zu unseren “Zielkursen”, bzw. “Fair Values” kommen. Dabei sollte aber immer bedacht werden, dass der echte Wert eines Unternehmens natürlich unbekannt ist und unser Modell nur einen strukturierten Prozess der Annäherung an den “inneren Wert” ermöglichen soll. Die Gewichtung und der “Hintergrund” der in das Modell eingepflegten Kennzahlen und Gewichtungen ist sowohl aus klassischer Forschung zum Thema abgeleitet als auch selbst gestrickt.

Das Scoring-Modell arbeitet eigentlich relativ simpel: Wir geben dem Modell Werte für Unternehmenskennzahlen vor, die wir als “fair” erachten und bei deren Vorhandensein wir bereit sind ein Unternehmen zu kaufen. Das Modell ist so ausgelegt, dass Sollvorgaben getroffen werden und positive Abweichungen den “Wert” des Unternehmens erhöhen, negative Abweichungen den “Wert” verringern. Ein wichtiger Aspekt des Scoring Modells ist, dass sich stark negative Ausreißer in bestimmten Kennzahlen expotentiell schlecht auswirken, positive Ausreißer jedoch nicht expotentiell einschlagen sondern nur linear positiv wirken. Ziel ist es einen soliden und günstigen Kennzahlenmix bei stabilen und “soliden” Unternehmen zu erhalten.

Bei allen Unternehmen werden soweit möglich die 10-Jahreszahlen betrachtet. In das Scoringmodell gehen zahlreiche Variablen ein. Da wären bspw:

KGV: (Mischkalkulation verschiedener KGV’s – KGV, KGV3, KGV10)
Pi mal Daumen ist alles bis KGV10=15 und KGV3=12, KGV=10 bei 100%. KGV’s über diesen Werten müssen durch positive Werte in anderen Kategorien etwa Bilanzstärke, nachhaltiges Wachstum oder Margen ausgeglichen werden.

Eignerrendite: Dividenden+Aktienrückkäufe abzgl. Kapitalerhöhungen sollten pro Aktie > als 75% der aktuellen 10jährigen Anleiherendite sein. Neben der aktuellen Dividende fließen auch Dividendenkontinuität (stabile Ausschüttungsquote) und Kapitalerhöhungen in das Modell ein.

Cashflow: sehr wichtiger Punkt KCV, Kurs/FreeCashflow auf Jahres, und 3-5 Jahresebene.

KUV, “mittlere Marge” und “Minimum Marge“: KUV und Gewinn bei 1) niedrigster 2) durchschnittlicher Marge der vergangenen 10 Jahre.
Ansatz: Reverse to the mean. So wird ein Unternehmen mit unterdurchschnittlichen Margen (im 10-Jahres-Schnitt) begünstigt, während ein Unternehmen mit historisch exorbitanten Margen etwas bestraft wird. (hier ist z.B. immer ein Ansatzpunkt für die spätere “Feinarbeit” –> Warum sind die Margen aktuell besonders hoch?)

KBV: unbereinigt und bereinigt um Goodwill

klassische Graham Valuation: KBV*KGV= < 22

Piotroski F-Score:
8 Punkte = 100%, Abzüge bei weniger Punkten.

EK-Rendite, ROCE etc. 10 JahresEK-Rendite, “geforderte EK-Rendite”: Die geforderte EK-Rendite ergibt sich aus einer einfachen Überlegung. Hat ein Unternehmen eine durchschnittliche EK-Rendite von 7% darf es ein KBV von 1 haben. Hat ein Unternehmen eine deutlich höhere durchschnittliche EK-Rendite von bspw. 15% p.a. “darf” es ein KBV von knapp 3 haben. Hat also ein Unternehmen eine längerfristige EK-Rendite von 10% und ein KBV von 1 ist es “besser” und bei einem KBV von 2 schlechter. “Gedanken zu diesem Thema” (Auch hier ist bei der Feinarbeit auf den operationellen Hebel der Unternehmung zu achten!)

Großer Bewertungspunkt Bilanzqualität: EK-Quote, Zinsdeckung, Gearing/Cashflow, Liquidität, Umlaufvermögen/Kurzfristige Schulden, Goodwill.

Kleinerer Punkt Gewinnwachstum: also Gewinnwachstum inkl. zwischendurch angefallener Verluste, Stetigkeit der Gewinne, Stetigkeit des Cashflows, Auswirkung der nicht ausgeschütteten Cashflows, insbesondere der Punkt ob die einbehaltenen Gewinne effektiv angelegt wurden. –> Stabiler CFROI oder abnehmender CFROI im Zeitablauf?

“Enterprise Value” Magic Formula: EV/Ebit, EV/Ebit3 und EV/Ebitda

Aus diesem Wust kommt ein Kennzahlenmix heraus, bei dem jeder Wert jeweils um 100% schwankt. Wenn ein Unternehmen in der Summe der Kennzahlen genau 100% hat – ist es fair bewertet – so der Gedanke. Damit findet man dann einen Preis für das Unternehmen, bei dem der Screener sagt “100%” fair bewertet. Wenn man dann ein Unternehmen findet, dass mit einem größeren Abschlag auf diesen fairen Wert gehandelt wird, könnte man eine “Margin of Safety” vor sich haben…

So ist z.B. bei Bijou Brigitte trotz hohem KBV und KUV durch die starke Bilanz, dass historisch ordentliche und stetige Gewinnwachstum, den soliden Cashflow und die hohen Ausschüttungen der “fair Value” höher als es ein reiner Kennzahlenmix aus KUV/KGV und KBV vermuten ließe. Hingegen gibt es zahlreiche Unternehmen wo die Verschuldung und der Goodwill die günstigen Kennzahlen von Dividende, KGV, KUV und Gewinnwachstum zunichte machen. Auf der anderen Seite gibt es auch einige “Zigarettenstummel” wie Tsakos Energy, bei denen Kurs-Buchwert und Co. so schreiend billig sind, dass selbst zahlreiche Mali im Modell ein positives Ergebnis erzielen.

Jegliches Scoringmodell hat natürlich Schwächen, der wir uns aber sehr bewusst sind. Das Scoring ist natürlich nur ein Einstieg ohne “weiche Faktoren” wie Wettbewerbsvorteile oder Marktstellung, deren Betrachtung nicht standardisierbar ist. Insgesamt wird man aber durch die immer ähnliche Betrachtung auf bestimmte Aspekte von Unternehmen hingewiesen, die interessant bzw. gefährlich sein könnten. Für Finanzunternehmen (Banken etc) funktioniert das Modell hingegen nicht, vor allem wegen der geringen EK-Quote und der Cashflow-Problematik.

Dieses Scoring Modell ist auf “hoher See” von unschätzbarem Wert. Anders als bei relativen Rankingmethoden ist das Scoring-Modell absolut orientiert. In den 2000er Jahren wäre es wahrscheinlich sehr schwierig gewesen große Massen kaufbarer Unternehmen zu finden. (Backtesting wg. hohem manuellem Aufwand nur Anhand von US-Unternehmen über SEC-Daten möglich). Hingegen konnten Ende 2008, Anfang 2009 zahlreihe Unternehmen mit großer Sicherheitsmarge gefunden werden. Mit diesem Scoring-Modell haben wir in den vergangenen Jahren mehrere hundert Unternehmen gescreent. Die Ergebnisse des Screenings entsprechen bisher in etwa dem, was man aus den klassischen O’Shaughnessy bzw. Tortoriello Daten erwarten darf. Wenn es zukünftig und langfristig auch nur halb so gut funktioniert wie bisher, wären wir schon ausserordentlich froh! Interessant ist vor allem, wenn man den Screener bei klassischen Frauds, bzw. Busts der Vergangenheit anwendet. Sowohl Enron, als auch MCI-Worldcom, aber auch Thielert wären jeweils nicht als “Kauf” durch das Modell gekommen. Bzw. als der Kurs soweit gesunken war, dass es ein Kauf gewesen wäre, hätte der gesunde Menschenverstand schon von einer Investition abgeraten.

Update: KGV10 nach Shiller

John Hussman ist ein glühender Verfechter des KGV10 nach Shiller. Der US-Fondsmanager (mit guten Ergebnissen seit Fondsauflegung) greift in seinen Shareholder Letter oft auf das KGV10 bzw. das sogenannte CAPE (KGV mit realen und “normalisierten” Gewinnen) zurück.

In einem Letter aus dem Januar “Borrowing Returns from the Future” zeigt Hussman sehr anschaulich den Zusammenhang zwischen der Rendite der folgenden 10 und 15 Folgejahre mit dem aktuellen KGV10-Niveau.

Ähnlich wie in unserem “vereinfachten Marktüberblick” zum KGV10 mit der groben Angabe von (0-7% p.a. nach Inflation) sieht Hussman die nächsten 10-15 bei einer Rendite von rund 5% p.a. In historischer Hinsicht (wenn man die letzten 110 Jahre als Maßstab nimmt), ist der US-Markt also immer noch “historisch” teuer. Zwar nicht mehr völlig überbewertet wie im Jahr 2000, jedoch immer noch höher bewertet als in fast allen anderen Jahren die zur Messung zur Verfügung standen.

Die blaue Linie zeigt die ex ante “zu erwartende” p.a. Rendite nach KGV10, die rote Linie zeigt die tatsächlich ex post eingetretene Rendite p.a.:

Fundamentale Standortbestimmung via KGV10

Es gibt wenige Ansätze die wir als sinnvoll erachten um die Bewertung des Gesamtmarktes festzustellen. Ob Aktien in der Summe “günstig” oder “teuer” sind ist eine Frage der sich schon tausende Analysten gestellt haben. Die meisten sind daran gescheitert. Eine kurzfristige Antwort im Sinne einer Aktienkursprognose für die nächsten wenigen Tage, Wochen oder wenigen Jahre gibt es unseres Wissens nach nicht.

Dem Argument, dass der Gesamtmarkt mit einem KGV von X oder Y günstig oder teuer ist und deshalb im nächsten Jahr steigen oder fallen müsste steht keine wissenschaftliche Fundierung gegenüber. Das 1-Jahres KGV des Gesamtmarktes hat wie man an der folgenden Grafik sehen kann nur eine sehr begrenzte Aussagekraft über die Kursentwicklung im nächsten Jahr:

Eine andere Sichtweise – die allerdings am breiten Markt weniger bekannt ist (weil für kurzfristige Schlagzeilen zu langfristig) ist die Aussagekraft des sogenannten KGV10 nach Shiller. Das KGV10 bestimmt sich als inflationsbereinigter Durchschnittsgewinn von zehn Jahren zum aktuellen Kurs des Gesamtmarkts. Setzt man das KGV10 ins Verhältnis zu den Renditen die in den darauffolgenden 15 Jahren real (vor Inflation) erzielt werden, erhält man einen sehr signifikanten Zusammenhang über Bewertung und erzielte Renditen.

Insbesondere ein KGV10-Stand von über 25 war in der Vergangenheit immer von schwierigen Börsenzeiten in den nächsten Jahren gekennzeichnet. So war dies ab 1900, 1929, 1965 und ab 2000 der Fall.

Zur Beantwortung der Frage wo wir uns gerade befinden kann man auf die Daten von Starcapital verweisen, aus deren Analysen und Grafiken wir im obigen Bereich verweisen. (Schaut Euch auch die Fonds an, die im Gegensatz zu den meisten Produkten am Markt einen wirklichen Mehrwert bieten!) Im aktuellen Börsenspiegel von Oktober 2010 wird das KGV10 (PE10) von Deutschland mit 22,3 angegeben. In den USA sieht es 25,8 noch etwas teurer aus.

Verwendet man die Kurve von oben als Indikator für Renditen der nächsten 15 Jahre, dann kommt man für Deutschland auf eine reale Rendite zwischen -2% und und ca. 4-5%. (Siegels Konstante, also eine reale Erwartung von 6,9% p.a. ist in den nächsten 15 Jahren also sehr unwahrscheinlich) Zuzüglich einer Inflation von ~2% also auf eine erwartete Rendite zwischen 0% und 7%. Für die konkrete Anlage hilft dieser Umstand noch nicht viel weiter. Gemäß Modell könnte der DAX also in 2026 einen Wert zwischen 7000 und 19.000 Punkten (1,07^15) erreichen. Anders sieht es im den USA aus, wo der Markt doch noch etwas teurer als in Deutschland ist und die Rendite wahrscheinlich noch etwas geringer sein wird. Dies geht mit der Einschätzung vieler Value-Investoren überein, die den Gesamtmarkt wieder als “nicht mehr günstig” einschätzen.

Eine aktuelle Übersicht über das KGV10 (in der Grafik CAPE) und das sogenannte TobinsQ (ähnlich Buchwert) findet sich bei Smithers&Wright – die mit Valueing Wallstreet einen Klassiker in der “verly-long-valuation” geschrieben haben. In der Grafik sieht man das KGV10 und den durchschnittlichen Buchwert des S&P500 zu Ihren eigenen Durchschnitten. Aktuell notieren wir nach den Angaben von S&W also rund 70% über dem historischen Durchschnitt des KGV10 und des historischen Q-Verhältnisses. Und damit praktisch wie vor der Krise. “Historisch günstig” ist der Markt – zumindest in den USA – also keineswegs.